Studien zeigen, dass jedes dritte Kind in Deutschland sich mindestens einmal selbstverletzt. Mädchen scheinen etwas häufiger betroffen zu sein als Jungen. Selbstverletzendes Verhalten ist ein ernstes Problem, das häufig auf mentale Belastungen und Schmerzen zurückzuführen ist. Es ist wichtig, die Hintergründe, Auslöser und Funktionen dieses Verhaltens zu verstehen, damit Sie Ihrem Kind helfen können. Lesen Sie weiter, um mehr darüber zu erfahren.

 Junger Mann erscheint verzweifelt und überfordert.

Selbstverletzendes Verhalten ist ein Ausdruck von großem Leid. Foto: Christian Erfurt/Unsplash

Selbstverletzendes Verhalten: wie oft kommt das vor?

Studien zufolge hat jeder 3. Jugendliche in Deutschland Erfahrungen mit einmaligem selbstverletzendem Verhalten. 4 – 10 % der Jugendlichen verletzen sich wiederholt selbst. Mädchen verletzen sich etwas häufiger als Jungs. Auch die Wahl der Methode unterscheidet sich. Mädchen fügen sich häufiger Verletzungen durch Schnittwunden zu. Jungs schlagen sich häufiger selbst oder schlagen gegen feste Gegenstände.

Selbstverletzendes Verhalten beginnt meist zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr, der größte Anteil der Betroffenen ist zwischen 15 und 17 Jahre alt. Danach nimmt die Häufigkeit tendenziell ab, dennoch können Selbstverletzungen auch bis ins Erwachsenenalter andauern. Außerdem kann es im Erwachsenenalter zu einer Symptomverschiebung kommen. Das bedeutet, dass Menschen, die sich als Jugendliche selbst verletzt haben, ein höheres Risiko haben beispielsweise schädlichen Alkohol- oder Drogenkonsum und andere problematische Verhaltensweisen zu entwickeln.

Was ist selbstverletzendes Verhalten?

Unter selbstverletzendem Verhalten versteht man absichtliche körperliche Verletzungen, die von der betroffenen Person selbst verursacht werden. Dazu zählen beispielsweise das Schneiden oder Ritzen von Haut, Verbrennungen, Kratzen, Kneifen, Beißen oder Schlagen des eigenen Körpers. Die verursachten Verletzungen führen meist zu kleinen oder moderaten Schädigungen und werden ohne suizidale Absicht zugefügt. Häufig werden die Verletzungen an den Armen, Handgelenken und Oberschenkeln zugefügt, seltener im Brustbereich, am Bauch, im Gesicht oder im Intimbereich.

Selbstverletzendes Verhalten: typische Anzeichen

Bestimmte körperliche Verletzungen können ein Hinweis darauf sein, dass sich eine Person selbst verletzt. Beim „Ritzen“ sind zum Beispiel gerade, parallele Schnitte oder Narben unterschiedlichen Entstehungsalters typisch. Auch kleine, unerklärliche Verbrennungsmale oder blaue Flecken und Abschürfungen an Händen, Kopf oder anderen sichtbaren Körperteilen können ein Zeichen für selbstverletzendes Verhalten sein.

Um Wunden zu verdecken, können Betroffene der Situation unangemessene Kleidung tragen. Zum Beispiel Shirts mit langen Ärmeln oder weite, schlabberige Pullover im Hochsommer, letzteres insbesondere um frische Wunden nicht zu „reizen“. Die Verweigerung der Teilnahme am Sport- oder Schwimmunterricht kann ebenfalls eine Strategie sein, um Wunden und Narben zu verdecken. Andere Verhaltensweisen, die Anzeichen für selbstverletzendes Verhalten sind, können der Besitz von Rasierklingen und anderen scharfen Gegenständen sowie ein häufiger sozialer Rückzug sein.

 

Auslöser von selbstverletzendem Verhalten

Das Zusammenspiel verschiedener Faktoren erhöht das Risiko dafür, dass ein Kind damit beginnt, sich selbst zu verletzen. Beispiele für solche Faktoren sind:

  • Belastungsfaktoren in der Familie (Trennung der Eltern, Konflikte, Erkrankungen, elterliche Kritik)
  • Belastungen in der Schule oder der Ausbildung
  • Belastungen in der Partnerschaft
  • Mobbing
  • Geringer Selbstwert
  • Missbrauchserfahrungen oder Vernachlässigung (körperlicher oder emotionaler Art)
  • Selbstverletzendes Verhalten in der Peer-Gruppe (Lernen am Modell, Nachahmung)
  • Somatische Beschwerden
  • Psychische Beschwerden wie zum Beispiel Depression, Angststörungen, emotional-instabile Persönlichkeitsstörung

Wie erwähnt, sind meist mehrere Faktoren an der Entstehung von selbstverletzendem Verhalten beteiligt. Generell kann man davon ausgehen, dass sich das Kind in einer sehr belastenden mentalen Situation befindet und wirklich leidet. Selbstverletzungen sollten daher immer ernst genommen werden, egal wie oberflächlich und vermeintlich „harmlos“ die Verletzungen sind!

    Warum verletzt sich mein Kind selbst? Selbstverletzendes Verhalten und seine Funktionen

    Für betroffene Jugendliche kann selbstverletzendes Verhalten verschiedene Funktionen erfüllen. Ein sehr häufig genanntes Motiv für Selbstverletzungen ist der Umgang mit emotionalen Schmerzen. Der körperliche Schmerz kann vorübergehend seelische Schmerzen überdecken. Selbstverletzendes Verhalten dient häufig als Bewältigungsstrategie, um unangenehme Gefühle wie Leere, Überforderung, Scham oder Trauer oder unangenehme Gedanken (z.B. Selbstabwertung) zu beenden. Viele betroffene Jugendliche berichten, dass sie direkt vor der Selbstverletzung einen unangenehmen emotionalen Zustand gespürt haben. Dieser wird meist als starke Anspannung wahrgenommen. Durch die Selbstverletzung wird dieser unangenehme Zustand kurzfristig beendet oder zumindest gedämpft. Das Nachlassen der Anspannung wird als angenehm empfunden.

    Seltener werden die folgenden Motive durch die betroffenen Jugendlichen benannt: Selbstverletzendes Verhalten kann auch eingesetzt werden, um positive emotionale Zustände auszulösen. So verspüren manche Jugendliche durch die Selbstverletzung einen positiven und als angenehm erlebten „Kick“. Selbstverletzendes Verhalten kann auch zwischenmenschliche Funktionen erfüllen. So kann es auch einen Weg darstellen, Aufmerksamkeit und Unterstützung zu bekommen. Jugendliche können die Erfahrung machen, dass sich Eltern ihnen besonders zuwenden und sich um sie sorgen, wenn sie sich selbst verletzt haben. Außerdem kann selbstverletzendes Verhalten genutzt werden, um unangenehme soziale Situationen zu vermeiden, bspw. die Teilnahme an der Klassenfahrt oder an einer Familienfeier.

    Ähnlich wie beim Teufelskreis der Angst ist das Risiko hoch, dass selbstverletzendes Verhalten beibehalten wird. Da es kurzfristig unangenehme Zustände beendet oder sogar positive Gefühle auslöst, wirkt es kurzfristig verstärkend. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass in einer ähnlichen Situation erneut auf selbstverletzendes Verhalten zurückgegriffen wird. Dies ist besonders dann der Fall, wenn keine anderen Bewältigungsstrategien zur Verfügung stehen. Therapeutische Maßnahmen zielen darauf ab, die individuelle Funktion der Selbstverletzungen zu erfassen und neue, gesunde Bewältigungsstrategien zu erlernen.

     

    Selbstverletzendes Verhalten: was Eltern tun können

    Sollte sich Ihr Kind selbst verletzen, sind Sie mit Sicherheit sehr besorgt und verunsichert. Nachdem Sie diesen Artikel gelesen haben, wissen Sie nun hoffentlich mehr über die Auslöser und Funktionen von Selbstverletzung. Wenn Eltern verstehen und anerkennen, dass dieses Verhalten ihres Kindes einen Lösungsversuch für eine als sehr schwierig erlebte Situation darstellen soll, ist ein wichtiger erster Schritt gemacht.

    Sie wollen Ihr Kind besser in dieser schweren Phase unterstützen? Eine erste Anlaufstelle können Ratgeber und Selbsthilfeliteratur sein. Auch eine professionelle Beratung kann Ihnen in dieser auch für Sie herausfordernden Zeit helfen. Es können individuelle Lösungs- und Bewältigungsmöglichkeiten erarbeitet werden.

    Ich bin Isabelle Hennig und ich bin Psychologin (M.Sc.) und Psychologische Psychotherapeutin für Erwachsene. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie habe ich auf der Spezialstation für Essstörungen gearbeitet.

    Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Eltern ganz nachvollziehbar selbst psychisch belastet waren. Im Trubel des Familienalltags und verbunden mit den zusätzlichen Terminen und Wegen aufgrund der psychischen Erkrankung des Kindes fehlte jedoch die Zeit dafür, auf sich selbst zu schauen und gut für sich zu sorgen.

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