Selbstverletzung ist bei Jugendlichen kein seltenes Phänomen: jede:r 3. Jugendliche hat sich schon einmal selbst verletzt. Gleichzeitig ist selbstverletzendes Verhalten für betroffene Jugendliche und auch Eltern ein Tabuthema. Warum fällt es Betroffenen schwer, darüber zu sprechen? Wie können Eltern reagieren und das Gespräch mit ihrem Kind gestalten, wenn sie bemerken, dass es sich selbst verletzt? In diesem Artikel erhalten Sie wertvolle Tipps, wie Sie mit Ihrem Kind über Selbstverletzungen sprechen können.
Selbstverletzung sollte als Hilfeschrei verstanden werden – Eltern können ihr Kind unterstützen! Foto: Jametlene Reskp/Unsplash
Warum sprechen Betroffene nicht über die Selbstverletzung?
Jugendliche verdecken die Wunden und Narben der Selbstverletzungen oft bewusst. Und sie verletzen sich bewusst an solchen Stellen, die für andere kaum sichtbar sind. Für Angehörige ist es daher oft schwierig zu bemerken, dass sich das Kind selbst verletzt. Häufig kommt es auch vor, dass Eltern auf Wunden ihres Kindes von Außenstehenden, z.B. Lehrkräften, Trainern oder Freunden angesprochen werden und erst so davon erfahren, dass sich ihr Kind selbst verletzt.
Gründe, warum Jugendliche nicht über Selbstverletzung sprechen:
- Betroffene sprechen aus Scham nicht über ihr Verhalten. Sie glauben selbst, dass das Verhalten „nicht normal“ ist und verurteilen sich dafür.
- Sie befürchten, dass sie nicht verstanden und ernst genommen werden und rechnen mit Ablehnung.
- Jugendliche wollen versuchen, ihre Probleme alleine zu lösen oder sie glauben, dass sie diese alleine lösen müssten.
- Sie wollen ihren Eltern nicht zur Last fallen.
Soll ich mein Kind auf die Selbstverletzung ansprechen?
Die Annahme, dass sich das Problemverhalten von alleine gibt, gilt in den meisten Fällen nicht. Selbstverletzung hat für die Betroffenen eine wichtige Funktion. Die Gefahr besteht, dass sich das Verhalten verselbständigt. Auch die Wahrscheinlichkeit, „dass sich das Kind schon melden wird, wenn es Hilfe braucht“, ist sehr gering. Selbstverletzendes Verhalten an sich ist bereits ein Ausdruck davon, dass der:die Jugendliche leidet, dies aber nicht anders ausdrücken kann. Jugendliche, die sich selbst verletzen, sollten daher immer ernst genommen werden! Eltern haben an dieser Stelle die Verantwortung, mit ihrem Kind darüber zu sprechen.
Wählen Sie für dieses Gespräch einen ruhigen Augenblick dafür aus, in dem Sie sich emotional belastbar fühlen und wirklich dazu bereit sind. Wenn Sie selbst schon einen sehr stressigen Tag hatten und sich sehr angespannt fühlen, sollten Sie ein solches Gespräch nicht mit Ihrem Kind führen. Das Risiko einer ungünstigen Dynamik ist dann zu hoch. Machen Sie sich vorab klar, dass dies ein herausforderndes Gespräch für beide Parteien wird! Bereiten Sie sich mental darauf vor, wie Ihr Kind reagieren könnte und legen Sie Antworten darauf zurecht. Machen Sie sich vorab Notizen, wie Sie das Gespräch einleiten wollen und welche Formulierungen Sie nutzen wollen.
Wie spreche ich mit meinem Kind über Selbstverletzung? 7 wertvolle Tipps
✔ Sprechen Sie Ihren Verdacht offen mit ruhigen, einfühlsamen Worten an: Sie geben Ihrem Kind damit zu verstehen, dass Sie an ihm interessiert sind und sich Sorgen machen.
✔ Zeigen Sie Mitgefühl und Verständnis: Die Selbstverletzung ist für Ihr Kind ein Weg, um mit seelischen Belastungen umzugehen. Äußern Sie aktiv, dass Sie dies verstehen und nehmen Sie Ihr Kind ernst. Das bedeutet nicht, dass Sie das selbstverletzende Verhalten „gut finden“ sollen, aber Sie können Ihr Kind und seine Gefühle wertschätzen.
✔ Bieten Sie Unterstützung an: Stellen Sie sicher, dass Ihr Kind weiß, dass es nicht alleine ist und dass Sie bereit sind, ihm zu helfen und es zu unterstützen.
✔ Hören Sie zu: Lassen Sie Ihr Kind über seine Gefühle und Gedanken sprechen, ohne es zu unterbrechen oder zu urteilen. Seien Sie geduldig und geben Sie Ihrem Kind Zeit, sich auszudrücken.
✔ Versichern Sie, dass sich Ihr Kind wegen seiner Selbstverletzung nicht schämen muss: Verzichten Sie auf Abwertungen („Wie kannst du denn nur so etwas Dummes tun?“, „Das ist doch verrückt“). Nehmen Sie stattdessen eine angemessen neugierige Haltung ein und vermitteln Sie Ihrem Kind, dass Sie sein Verhalten verstehen möchten.
✔ Fragen Sie behutsam nach den Ursachen der Selbstverletzung: Zeigen Sie Interesse an den subjektiven Auslösern für das selbstverletzende Verhalten, zum Beispiel in dem Sie fragen: „Fühlst du dich im Moment durch irgendetwas sehr belastet?“ Sie können auch konkret danach fragen, welche Funktion die Selbstverletzung für Ihr Kind erfüllt, zum Beispiel so: „Wie hilft dir die Selbstverletzung dabei, dass du dich besser fühlst? Wie geht es dir, bevor und nachdem du dich selbst verletzt hast?“ Drängen Sie sich Ihrem Kind jedoch nicht auf, seien Sie achtsam, wie weit die Gesprächsbereitschaft Ihres Kindes geht. Vermeiden Sie die Frage „Warum tust du das?“, da diese schnell als Angriff aufgefasst werden kann.
✔ Machen Sie sich bewusst, dass ihr Kind professionelle Hilfe benötigt. Bieten Sie Ihrem Kind an, dass Sie sich gemeinsam über Unterstützungsmöglichkeiten informieren können. Damit signalisieren Sie, dass Selbstverletzung ein Problem ist, für das man Hilfe in Anspruch nehmen darf und auch sollte. Das im Forschungsverbund STAR entwickelte Online-Programm bietet Hilfe für Jugendliche, die sich selbst verletzen und kann eine erste Anlaufstelle sein. Therapeutische Unterstützung kann dieses allerdings nicht ersetzen.
Was tue ich, wenn mein Kind nicht mit mir über die Selbstverletzung sprechen möchte?
Wenn sich Ihr Kind zunächst nicht auf ein Gespräch einlassen kann, akzeptieren Sie dies. Üben Sie keinen Druck aus, das führt nur dazu, dass sich Ihr Kind noch mehr verschließt. Machen Sie sich bewusst, dass Jugendliche, die sich selbst verletzen, oft auch Schwierigkeiten haben, über ihre Gefühle zu sprechen. Ein solches Gespräch ist für Ihr Kind also eine große Herausforderung, für die es möglicherweise etwas Zeit benötigt. Signalisieren Sie, dass Sie auch zu einem späteren Zeitpunkt für ein Gespräch bereit sind.
Sie können trotzdem Ihre Sorgen äußern und zeigen Ihrem Kind damit, dass Sie sich für es interessieren.
Der Einfluss von Selbstverletzung auf Eltern
Wenn sich ein Kind selbst verletzt und Eltern dies bemerken, sind sie vorerst schockiert und aufgelöst. Auch Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit werden sehr oft berichtet. Selbstverletzungen führen oftmals auch zu großer Unsicherheit auf Seiten der Eltern, viele Fragen kommen auf, auf die es so schnell aber keine Antwort gibt. Das kann durchaus den Umgang mit dem eigenen Kind beeinflussen, z.B. indem Eltern mehr Kontrolle ausüben. Auch Schuldgefühle und Selbstvorwürfe treten oft auf. Eltern stellen das eigene Verhalten in Frage und beschäftigen sich mit der Frage, was sie falsch gemacht haben. Diese „Schuld-Fragen“ sind meist jedoch nicht hilfreich. Wichtiger ist es nun, einen angemessenen Umgang mit dem eigenen Kind zu finden.
Dafür ist es ratsam, dass auch Eltern eine professionelle Begleitung in Anspruch nehmen. In der Arbeit mit meinen Klient:innen bin ich oft mit diesem Thema konfrontiert. In der Beratung ist Raum dafür, über die eigenen Gefühle zu sprechen und all die Fragen loszuwerden, die Eltern in dieser Situation beschäftigen. Außerdem können Strategien im Umgang mit der Selbstverletzung des Kindes besprochen werden um somit die Beziehung zum eigenen Kind zu stärken. Genauso wichtig ist es, auf die eigenen Ressourcen zu schauen und Möglichkeiten der Selbstfürsorge zu finden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Eltern ihr Kind viel besser unterstützen können, wenn sie auch auf sich selbst achten.
Ich bin Isabelle Hennig und ich bin Psychologin (M.Sc.) und Psychologische Psychotherapeutin für Erwachsene. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie habe ich auf der Spezialstation für Essstörungen gearbeitet.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Eltern ganz nachvollziehbar selbst psychisch belastet waren. Im Trubel des Familienalltags und verbunden mit den zusätzlichen Terminen und Wegen aufgrund der psychischen Erkrankung des Kindes fehlte jedoch die Zeit dafür, auf sich selbst zu schauen und gut für sich zu sorgen.
Mit meiner Online-Beratung biete ich Eltern mit einem psychisch erkrankten Kind professionelle psychologische Unterstützung, bequem von zu Hause aus, ohne Warte- und Fahrzeiten. Als ausgebildete Psychotherapeutin stehe ich Ihnen mit meiner Kompetenz zur Seite. Kontaktieren Sie mich gerne.